Dienstag, 29. Juni 2021

Meister Dōgen, Meditation und Quantenfelder


Meister Dōgen wurde im Jahr 1200 im japanischen Kyōto geboren.

Mit 12 Jahren trat er in das Kloster Enryaku ein.

Nachdem Dōgen dort drei Jahre lang die theoretischen Grundlagen des Buddhismus studiert hatte, wollte er eine stärker auf die Praxis ausgerichtete Schulung kennenlernen. Er trat daher in das Kloster Kennin ein.


Die Praxis im Kloster Kennin befriedigte Dōgen aber nicht und so entschloss er sich, die Ursprünge der buddhistischen Praxis in China zu suchen.


Nach einigen Jahren in China begegnete er dort schließlich Meister Tendō Nyojō, der die Regeln der Sitzmeditation lehrte, die von Gautama Buddha stammen sollen und in direkter Linie über andere Meister an ihn weitergegeben wurden.


Die Sitzmeditation ist nach dem Verständnis dieser frühen buddhistischen Meister das Herzstück der Lehre und der Erfahrung Gautama Buddhas.

Zum Beispiel soll Meister Bodhidharma 9 Jahre vor einer Wand gesessen haben, um zu meditieren.


Nachdem Dōgen mit 27 Jahren nach Japan zurückgekehrt war, verbrachte er wieder einige Jahre im Kloster Kennin. Dann gründete er sein eigenes Kloster, das Kōshō-ji in Kyōto und begann die Praxis der Sitzmeditation zu lehren.



Meister Dōgens vier Leitsätze der Sitzmeditation aus dem 13. Jahrhundert:

  1. Nicht Denken (Aufkommende Gedanken während der Meditation werden nicht beachtet. Man konzentriert sich vollständig auf die Atmung, z. B. das Heben und Senken des Bauches bei der Atmung. Durch diese starke Konzentration auf die Atmung werden alle Gedanken im Laufe der Zeit immer weniger, schwächer und verschwinden schließlich vollständig.)


  2. Regelmäßig Sitzen in einer aufrechten Körperhaltung (In Asien ist das Sitzen mit gekreuzten Beinen auf einem Kissen heute noch gebräuchlich und so meditieren auch die meisten. Ich als Europäer sitze mit geradem Rücken auf der Kante eines Stuhls. Manche meditieren mit dem Blick auf eine Wand, andere mit halboffenen oder geschlossenen Augen.)


  3. Sich von Körper und Geist befreien (Durch die vollständige Konzentration auf die Atmung befreit man sich zunächst von allen Gedanken. Danach wird auch die Konzentration auf die Atmung und den Körper fallen gelassen. Man befreit sich nicht nur vom Denken, sondern auch von allen Wahrnehmungen. Gedanken und Wahrnehmungen verlieren ihre Wichtigkeit und verschwinden langsam. Gautama Buddha, Meister Dōgen und andere frühen Meister haben durch die Sitzmeditation erfahren, dass weder die Welt des Denkens noch die Welt des Wahrnehmens die Wirklichkeit ist.)


  4. Nichts anderes tun als Sitzen (Das Studium buddhistischer Texte ist zu Beginn eine gute Hilfe für den Meditationsschüler, doch die Praxis der Sitzmeditation ist der Kern, das Zentrum, das Herz des Buddhismus. In Klöstern, die noch den ursprünglichen Buddhismus praktizieren, meditieren die Mönche mehrere Stunden jeden Tag. Als Anfänger sollte man mit mindestens 20-25 Minuten täglicher Meditation beginnen. Den Zustand der vollständigen Befreiung von allen Gedanken und Wahrnehmungen erreicht man aber nur in langen Sitzungen.)


Für Meister Dōgen ist die Sitzmeditation der einzige Weg, mit der man das Erwachen zur Wahrheit (die Wirklichkeit) auf natürliche Weise selbst erfahren kann.


Die Wahrheit (die Wirklichkeit) offenbart sich nicht im Denken oder Wahrnehmen, sondern in der Befreiung von Körper und Geist während der Sitzmeditation.



Zitate von Meister Dōgen:


„Nach der ersten Begegnung mit einem wahren Lehrer ist es nicht notwendig, Räucherwerk zu verbrennen, sich zu Boden zu werfen, Buddhas Namen zu rezitieren, seine eigenen Fehler zu bekennen oder Sūtren zu lesen. Sitzt nur richtig und erlangt den Zustand, in dem Ihr Körper und Geist fallen lasst.“


„Jene, die der Lehre entsprechend praktizieren, werden auf jeden Fall in den Bereich der direkten Erfahrung der Wirklichkeit eintreten. Dies ist etwas völlig anderes als zu versuchen, die Wahrheit durch Übungen zu erlangen, die sich auf den Verstand und die Einbildung stützen.“


„Wenn Ihr Euch ausschließlich der Zazen-Praxis (Anmerkung: Zazen ist das japanische Wort für Sitzmeditation) hingebt, Euch jetzt genau der gleichen Sitzhaltung wie Buddha anvertraut und die unzähligen persönlichen Dinge ablegt, dann geht Ihr weit über Täuschung und Erwachen, Fühlen und Denken hinaus, dann werden weltliche und heilige Wege bedeutungslos.“


„Ich sah im China der großen Song mit eigenen Augen, dass überall im Land in den Klöstern Zazen-Hallen errichtet wurden, die fünf- oder sechshundert, manchmal sogar eintausend oder zweitausend Mönche aufnehmen konnten; die Mönche wurden darin bestärkt, Tag und Nacht Zazen zu praktizieren.“


„Erkennt vor allem eines: Dieses Zazen umfasst die ganze Wahrheit des Buddha-Dharmas. Nichts kann damit verglichen werden.“

Je nach Sinnzusammenhang bedeutet Dharma »universelle Gesetzmäßigkeit«, »das Universum selbst«, »geistige und stoffliche Daseinserscheinungen«, »Wahrheit«, »Wirklichkeit« oder »die Lehre Buddhas«.


Quelle:

Meister Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges.

Werner Kristkeitz Verlag




Sitzmeditation und Quantenfelder


Gautama Buddha, Meister Dōgen und andere frühen Meister haben durch die Sitzmeditation die Erfahrung gemacht, dass weder die Gedanken noch die Wahrnehmungen eines Menschen die Wirklichkeit sind.

Diese Erkenntnis der frühen Buddhisten stimmt erstaunlicherweise mit den aktuellen physikalischen Theorien über den Aufbau der Welt (die Wirklichkeit) überein.


In den letzten 100 Jahren wurde die Menschheit durch Denken (z. B. Quantenmechanik) und Wahrnehmen (z. B. aufwendige physikalische Experimente am Large Hadron Collider (LHC) in Genf) doch in die Lage versetzt, die menschliche Illusion von der Wirklichkeit zu durchschauen.


Von diesen mathematischen und experimentellen Möglichkeiten des 20. und 21. Jahrhunderts hatten Gautama Buddha, Meister Dōgen und die anderen frühen Meister natürlich nicht den Schimmer einer Ahnung und trotzdem haben sie durch ihre Erfahrungen während der Sitzmeditation die menschliche Illusion von der Wirklichkeit durchschaut.


Die heutigen Erkenntnisse der Wissenschaftler über den Aufbau der Welt erklärt David Tong (Professor für theoretische Physik an der Cambridge Universität) allgemeinverständlich in diesem atemberaubenden Vortrag.


https://www.youtube.com/watch?v=zNVQfWC_evg&t=2714s


Über die markierte Schaltfläche im Bild kann man deutsche Untertitel ein- und ausblenden.



Die Welt unserer Gedanken und Wahrnehmungen – vom Virus über das menschliche Gehirn bis zu den Sternen und Planeten – ist aus nur drei „Teilchen“ aufgebaut.


Die ersten beiden „Teilchen“ sind das Up-Quark und das Down-Quark, die in zwei verschiedenen Kombinationen das Proton (zwei Up-Quarks, ein Down-Quark) und das Neutron (ein Up-Quark, zwei Down-Quarks) bilden.

Das dritte „Teilchen“ ist das Elektron.

Alle Atome sind bekanntlich aus Protonen, Neutronen und Elektronen aufgebaut.


Doch diese drei „Teilchen“ sind gar keine richtigen Teilchen, denn für die Physiker sind diese „Teilchen“ nur Fluktuationen (Zustände, Energiepakete) von Quantenfeldern.

Wir und die Welt um uns herum bestehen nicht aus Teilchen, sondern aus Fluktuationen (Zuständen, Energiepaketen) von Quantenfeldern.


Diese Quantenfelder erstrecken sich über das gesamte Universum und sind auch im Vakuum vorhanden, doch im Vakuum erzeugen diese Quantenfelder nur „Teilchen“, die nach ihrer Entstehung sofort wieder verschwinden.


In diesem Screenshot aus dem Vortrag von Prof. Tong sieht man eine Simulation von Quantenfeldern in einem Vakuum.

Diese Quantenfelder im Vakuum fluktuieren ständig und erzeugen „Teilchen“, die im rasenden Tempo auftauchen und sofort wieder vergehen.



Darüber hinausgehend erzeugen auch die Fluktuationen der Quantenfelder, die wir als die „Teilchen“ Proton und Neutron bezeichnen, nicht nur Up- und Down-Quarks, sondern noch zahlreiche andere, ständig entstehende und vergehende Paare aus Quarks/Antiquarks und Gluonen, die alles zusammenhalten.


Quelle:
Spektrum der Wissenschaft 06.2021


Was Gautama Buddha, Meister Dōgen und andere frühe Meister in der Sitzmeditation erfahren haben, dass die Wahrheit (die Wirklichkeit) etwas anderes ist als das, was der Mensch für gewöhnlich denkt oder wahrnimmt, bestätigen die aktuellen physikalischen Theorien und Experimente.


Die „Teilchen“ meines Körpers, aller anderen Lebewesen, Sterne und Planeten sind Fluktuationen (Zustände, Energiepakete) riesiger Quantenfelder, die sich über das gesamte Weltall ausdehnen.


Hätten wir Sinnesorgane für diese Quantenfelder und ihre Fluktuationen, dann wären diese Erkenntnisse sicherlich Selbstverständlichkeiten für uns und würden uns nicht überraschen.

Doch auch für die elektromagnetischen Felder – deren Grundlage Quantenfelder sind – haben wir keine Sinnesorgane und trotzdem sind sie Wirklichkeit, denn sonst könnten wir nicht über unsere Handys und das Internet miteinander kommunizieren.


Durch die Sitzmeditation und die Physik können wir eine kleine Ahnung von der Beschaffenheit der Wirklichkeit erhalten und die Einschränkungen unseres Denkens und unserer Wahrnehmungen überwinden.


Zitate von Meister Dōgen:


In einem einzigen Staubkorn offenbart sich das Drehen des großen Dharma-Rades.


Denkt daran: Die Schule des wahren Dharmas sagt, dass im Buddha-Dharma das Wesen des Geistes eins mit allen Formen ist.


Es gibt keine Daseinsform – nicht einmal Bodhi oder Nirvāṇa –, die nicht selbst dieser Geist wäre; alle Dharmas, die zehntausend Phänomene und die Ansammlung aller Dinge, sind alle ausnahmslos nur dieser eine ungeteilte Geist.“


Die verschiedenen Dharma-Schulen bestehen alle darauf, dass alle Daseinsformen nichts anderes als dieser ausgewogene, eine und ungeteilte Geist sind. Daneben gibt es nichts anderes.



„Dieser ausgewogene, eine und ungeteilte Geist“, aus dem alle Lebewesen, Sterne und Planeten bestehen, ist für mich diese Existenz von Quantenfeldern, die das gesamte Universum durchziehen.

„Daneben gibt es nichts anderes“!



Auch die alten Griechen (z. B. Platon, Anaxagoras) postulierten bereits eine formlose Materie, die erst eine Form erhalten muss, um den Kosmos aufzubauen.

Für die Physiker ist diese formlose Materie das Vakuum mit seinen Quantenfeldern, in dem „Teilchen“ entstehen und sofort wieder vergehen.

Mit dem Urknall vor ca. 13,8 Milliarden Jahren erhielt die formlose Materie – das Vakuum – eine Form, weil die Quantenfelder erst ab diesem Zeitpunkt „Teilchen“ erzeugten, die nicht sofort wieder verschwanden.

Dadurch wurde das Vakuum allmählich in diesen Raum mit „Teilchen“ – den wir Universum nennen – umgewandelt.



Ein Gast stellte Meister Dōgen folgende Frage:

„Unsere ganze Gesellschaft ist unwissend, unser Geist ist eng und beschränkt. Wir sind auf das Ergebnis unseres Tuns fixiert und lieben das Gute in seiner oberflächlichen Form. Können sogar Menschen wie wir erhoffen, den Buddha-Dharma sogleich zu erfahren, wenn wir in Zazen sitzen?“


Meister Dōgen antwortete:

„Wenn die Menschen nur mit dem wahren Vertrauen Zazen praktizieren, werden Kluge wie Dumme ohne Unterschied die Wahrheit erlangen.“


Diesen Kern aller Erscheinungsformen (die Wahrheit, das wahre Wesen der Wirklichkeit) kann jeder in der Sitzmeditation erfahren und in populärwissenschaftlichen Vorträgen und Büchern erkennen.


Buchtipp:

Guido Tonelli: Genesis. Die Geschichte des Universums in sieben Tagen

C. H. Beck Verlag


Zitat von Guido Tonelli:

„Diese Reise wird uns Theorien nahebringen, die sich anschicken, unser Weltbild auf immer zu verändern. Und am Ende entdecken wir womöglich, dass sich das Bild, das wir anfangs von uns selbst hatten, ebenfalls verändert hat.“

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